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Ulrich Conrad

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S-Bahn

„Das macht man aber nicht!“, erklärten mir meine Eltern.

Gut, es gibt Dinge, die macht man einfach nicht, und meist gibt es dafür auch gute Gründe. Es ist Grundlage eines friedlichen Miteinanders, dass nicht jeder macht, was er will. Sicher sind Eltern auch gut beraten, wenn sie diese Lebensgrundlagen möglichst zeitig an ihre Kinder weitergeben. Dass diese dann oft noch nicht verstehen können, warum man etwas nicht macht, ist kaum zu verhindern. Dann heißt es nur: „Das macht man eben nicht.“

Meist genügt das als Erklärung, und wenn doch nachgefragt wird, fügt man hinzu: „Das ist nun mal so.“
Bei meinen Eltern war das auch nicht anders. Es war eben so, und die Hintergründe hätte ich als Kind ohnehin nicht verstanden. Sie waren ja auch schwer zu verstehen, und auch heute erscheinen die Überlegungen von damals kaum noch nachvollziehbar.

Dabei haben sich meine Eltern stets liebevoll um mich gekümmert. Meine Begeisterung zur U-Bahn durfte sich früh entwickeln. Das war auch naheliegend, denn sie fuhr nur wenige hundert Meter von unserer Wohnung entfernt durch Zehlendorf. Auf dem Weg zum nahen Edeka führte der Weg über eine Brücke über die Gleise hinweg. Die Strecke lag dort im Einschnitt, was von der Straße aus einen schönen Blick auf die Züge ermöglichte, zumindest, wenn man groß genug war, um über die Mauer zu schauen, das als Geländer diente.

Bevor ich diese notwendige Größe erreicht hatte, war ich auf die Hilfe meiner Eltern angewiesen. Fest umschlungen mit seinen kräftigen Armen setzte mich mein Vater dann gelegentlich auf diese Brüstung und ließ mich nach den Zügen winken. Oft gaben die Fahrer ebenfalls Handzeichen, manche hupten dabei auch, während andere uns ignorierten und reaktionslos weiter fuhren. „Der war aber doof“, hieß es dann.
Aber egal, ob ein Fahrer nun freundlich reagiert hat oder nicht, konnte man die Züge von der Brücke aus wunderbar betrachten, diese alten Wagen aus der Vorkriegszeit mit ihren schwarzen Dächern, die manchmal voller Risse, manchmal ganz glatt, meist aber irgendwie dazwischen waren.

Gelegentlich fuhren wir auch mit der U-Bahn in die Stadt. Das war für mich jedes Mal ein ganz besonderes Erlebnis. Ich kannte die Fahrgeräusche, das Heulen der Motoren, dieses Tatatatata, der Räder mit ihren Flachstellen und das Klappern der Achsen auf den Schienenstößen. Ich staunte wie sehr sich die Geräusche änderten, wenn der Zug unter einer Brücke hindurch fuhr oder an der Podbielskiallee im Tunnel verschwand. Unvergessen auch das lautstarke Kreischen der Räder in der S-Kurve an der Spichernstraße. Ich kannte die Gerüche, nach den teergetränkten Holzschwellen auf den Bahnhöfen und den ganz speziellen U-Bahngeruch nach Teer, Holz und Zigarettenrauch in den Zügen. Auf die rot gepolsterten Kunstledersitze hockte ich mich kniend, um durch die Fenster hinter den Rückenlehnen nach draußen schauen zu können.

Manchmal unternahm meine Großmutter Ausflüge mit mir. Wir fuhren dann zum Beispiel mit dem Bus nach Wannsee, dann mit dem Ausflugsschiff zur Glienicker Brücke oder nach Tegel und mit Bus oder U-Bahn wieder zurück. Auf dem Weg zur Glienicker Brücke mussten die Schiffe zum Schluss immer recht nah am Ufer entlang fahren, um nicht zu nah an das falsche Ufer zu geraten, jenes, von dem aus vor einer strahlend weißen Mauer die Sackrower Heilandskirche herübergrüßte. Die weißen Bojen mit der schwarzen Aufschrift „Sektorengrenze“ mussten stets auf der richtigen Seite passiert werden.

Auf dem Weg nach Tegel kam man nicht an die Stadtgrenze. Mit der Fahrt durch die Spandauer Schleuse, über den Tegeler See und dem anschließenden Rückweg mit der U-Bahn, erschien mir dieses Ziel wesentlich interessanter, aber diese Tour war auch teurer und dauerte länger.

Als Zehnjähriger bekam ich einen Stadtplan der Berliner Verkehrsbetriebe. Unzählige Buslinien versprachen interessante Verbindungen kreuz und quer durch den Westen Berlins. Es reizte mich Gegenden zu erkunden, die weitab von zuhause lagen, und es gelang sogar meine Großmutter dazu zu bewegen, mit mir auch ohne Dampferfahrten Ausflüge mit U-Bahn und Bus zu unternehmen. Nach und nach wollte ich auch alle U-Bahnlinien abfahren, doch auf dem Stadtplan fand sich noch ein geheimnisvolles weiteres Netz.

In dünnen braunen Linien waren verschiedene weitere Strecken im Stadtgebiet eingezeichnet, ganz unscheinbar, ohne Namen an den Stationen aber doch erkennbar. Die S-Bahn!

Natürlich war mir die S-Bahn nicht völlig unbekannt. Fuhr man durch die Stadt, konnte man deren rot-gelbe Züge manchmal auf irgendwelchen Brücken vorüberhuschen sehen, etwa am Bundesplatz, unweit meiner anderen Großmutter, oder am Teltower Damm, wo wir manchmal eingekauft hatten. Es lag auf der Hand, dieses mysteriöse Verkehrmittel einmal nutzen zu wollen, doch das lehnten meine Eltern ab. „Ja, die S-Bahn gibt es auch noch, aber die benutzt man nicht. Das macht man einfach nicht!“
Mein vierzehn Jahre älterer Bruder war jedoch schon erwachsen. Mit seinen Kumpels benutzte er die S-Bahn durchaus, wo es sich anbot, sie war wohl etwas billiger, doch unseren Eltern gefiel das nicht.

Das macht man einfach nicht.“

Er erzählte auch von allerlei Abenteuern, die man dort erleben konnte, von Schmugglern und Verfolgungsjagden, von uralten Zügen auf klapprigen Gleisen und vom Düppel-Express, der mit einem einzigen Zug auf einsamer Strecke zwischen Zehlendorf und Düppel hin und her pendelte. Dort konnte man sogar Münzen aufs Gleis legen und platt fahren lassen. Bei der U-Bahn ging das nicht, da man nirgends an die Gleise herankam, beim Düppel-Express gab es jedoch Bahnübergänge.

Die S-Bahn wurde für mich immer spannender. Wie sollte ich auch verstehen, warum man sie nicht mehr nutzte? Dass man sie seit 1961, als die Berliner Mauer errichtet wurde, im Westteil der Stadt boykottierte?

Die Alliierten hatten 1945 festgelegt, dass die Eisenbahn, und damit auch die S-Bahn, in ganz Berlin unter einheitlicher Verwaltung durch die Deutsche Reichsbahn betrieben werden sollte. Das mag auch der Grund gewesen sein, warum nach der 1949 erfolgten Gründung der DDR dieser Name unverändert erhalten blieb, obwohl es ein Deutsches Reich schon lange nicht mehr gab und in der DDR alle anderen Bezeichnungen, die an das Deutsche Reich erinnerten, recht bald verschwanden.

Die West-Berliner S-Bahn brachte dem ostdeutschen Staat nicht zu verachtende Einnahmen in westlicher Währung. Bis 1961 störte sich daran auch niemand. Als dann jedoch die Teilung Berlins unüberwindbar wurde, riefen Senat und Gewerkschaften dazu auf, die S-Bahn zu boykottieren. Den Erbauern der Mauer sollte kein Westgeld mehr zufließen. Sofort wurden parallele Buslinien eingerichtet und nach und nach sogar U-Bahnen geplant und gebaut, die dem Ersatz einzelner S-Bahnlinien dienten.

Davon ungeachtet fuhren die gelb-roten Züge zwar weiter, doch sie wurden auf die minimale Länge von vier Wagen gekürzt. Für den Düppel-Express gab es sogar einen Zug aus nur zwei Wagen. Dennoch waren stets reichlich freie Sitzplätze verfügbar, der Boykott wurde befolgt.

Als Kind verstand ich nicht, was es mit der Mauer auf sich hatte. Sie war mir nicht fremd, sondern wirkte auf mich ganz normal. Von Reisen, ebenso wie von Besuchen bei Verwandten in der DDR, kannte ich die Grenze mit ihren Kontrollen seit frühester Kindheit. Um die Stadt herum stand nun mal die Mauer, für mich gehörte sich das so, ich kannte es nicht anders.

Durch den Boykott nahm die S-Bahn nur noch wenig Westgeld ein. Leere Züge verursachten Kosten, und die Reichsbahn sparte, wo sie nur konnte. Ungepflegte Bahnhöfe waren typisch. Alles war alt, Farbe platzte ab, Scheiben wurden blind, weil sie niemand mehr putzte, und wenn sie zerbrachen fehlten sie. Staubschichten und Taubenkot ließen die Bahnhöfe schmuddelig wirken, doch die Züge fuhren weiter.
Als mein Vater in den siebziger Jahren gelegentlich Besuch von seiner Cousine aus der DDR bekam, holten wir sie immer am S-Bahnhof Sundgauer Straße ab. Es war schon seltsam. Jeder andere kam entweder mit dem Auto oder mit der BVG, also mit Bus oder U-Bahn, nur die Verwandtschaft aus dem Osten nutzte die S-Bahn. Das lag wohl daran, dass sie im Osten schon einen Fahrschein kaufen konnten, der auch im Westen galt, der also für billiges Ostgeld zu haben war.

So standen wir dann auf dem zugigen Bahnsteig und warteten manchen Zug ab. Ganz genau konnten wir nie wissen, wie lange die Granzkontrollen dauern würden und wann unsere Besucherin wirklich einträfe. Dann schauten wir zu, wie die alten Wagen unverdrossen an die leeren Bahnsteige kamen und hielten. Ein Zugabfertiger schaute, ob vielleicht doch jemand ausstieg, dann hob er eine Kelle, pfiff auf der Trillerpfeife und der Zug fuhr weiter.

Im abendlichen Schummerlicht der dürftigen Beleuchtung wirkten diese Stationen schon fast gespenstisch. Nach Abfahrt eines Zuges herrschte Ruhe, bis nach ein paar Minuten der Zug der Gegenrichtung einfuhr und wieder für wenige Sekunden etwas Leben auf den Bahnhof brachte.

Mit diesen Zügen auch einmal zu fahren, musste ein echtes Abenteuer sein, doch wollten mir meine Eltern das nicht ermöglichen. Die Geschichten meines Bruders ließen mir aber keine Ruhe. Beharrlich blieb ich am Ball, um meinen Vater doch mal zu einer solchen Tour zu bewegen, wenigstens mit dem Düppel-Express. Er erklärte mir jedoch, dass das kein besonderer Express sei. „Das ist auch nur eine ganz normale S-Bahn.“

Eine ganz normale S-Bahn? Natürlich wollte er mir mit dieser Aussage das Interesse nehmen, doch was war an der S-Bahn schon normal?

Für mich war sie geheimnisumwoben. Der Wunsch nach einer Fahrt wurde immer größer. Unbedingt wollte ich sie auch erleben, und eines Tages ließ sich mein Vater tatsächlich erweichen. Von Zehlendorf aus sollte es einmal nach Düppel und zurück gehen.

Sicher gab er nur sehr ungern das Geld für unsere Fahrscheine aus, dann warteten wir auf dem unebenen Kleinsteinpflaster des alten Bahnsteigs auf den kurzen Zug. Als er unter einer rostigen Eisenbahnbrücke, über die schon ewig kein Zug mehr hinweg fuhr, erschien und in den Bahnhof rollte, konnte ich mich kaum halten vor Freude.

Die Türen öffnete man durch kräftiges Ziehen an den Messinggriffen, bevor einem aus dem Inneren der Geruch östlicher Reinigungsmittel entgegen schwappte. Nach wenigen Minuten war auch schon der Pfiff des Zugabfertigers zu hören, woraufhin wir uns in jene Richtung, aus der unser Zug gerade gekommen war, in Bewegung setzten. Über eine Kreuzung ratternd schaukelte die S-Bahn über die verwahrlosten Gleise, an denen seit Jahren nur das nötigste gemacht wurde. Der Betrieb war sicher, aber mehr auch nicht.

Nach einem kurzen Zwischenhalt in Zehlendorf-Süd war die Fahrt nach etwa fünf Minuten zuende, wir waren in Düppel. Natürlich mussten wir aussteigen, denn für die Rückfahrt brauchten wir neue Fahrkarten, aber das war schnell erledigt, denn andere Fahrgäste gab es dort nicht. Wir wurden sofort bedient und konnten mit dem selben Zug wieder zurück fahren. So ging dieses Abenteuer viel zu schnell vorüber.

Als ich in Zehlendorf endlich in die Oberschule kam, konnte ich vom Pausenhof aus einen freien Blick auf die S-Bahn genießen. Alle zehn Minuten fuhren dort die Züge nach Wannsee vorbei und alle zwanzig Minuten jene nach Düppel. Zusammen mit den Gegenzügen wer ganz schön was los. Ich beobachtete genau, welch unterschiedliche Zugarten kamen. Es gab Wagen mit eckigeren und welche mit runden Formen. Es gab auch Türen mit größeren Fenstern und mit kleineren Fenstern, aber es gab jede diese Varianten in jedem Wagentyp. Regeln, wie diese Züge zusammengestellt wurden, konnte ich nicht erkennen. Dadurch war es immer wieder eine Überraschung, was für Wagen als nächstes kämen.

Im September 1980 war das dann vorbei! Ein Streik bei der S-Bahn führte zunächst dazu, dass nur noch ganz vereinzelt Züge fuhren, wenn sich mal ein Fahrer fand, der nicht gestreikt hatte, doch nach Beendigung dieses Ausnahmezustands hielten gar keine S-Bahnen mehr in Zehlendorf.

Streiks waren im DDR-Alltag der S-Bahn nicht vorgesehen. Das Personal bestand natürlich aus West-Berliner Bürgern, die zwar vorzugsweise der DDR nahe standen, immerhin bestand die „Sozialistische Einheitspartei Westberlins“, das West-Berliner Gegenstück zur SED, überwiegend aus Reichsbahnern, doch auch diese mussten in West-Berlin leben. Preise stiegen, Löhne jedoch kaum. Das konnte nicht gut gehen.

Ein Großteil des Personals wurde entlassen, und die Deutsche Reichsbahn, wie sie noch immer hieß, legte etwa zwei Drittel des S-Bahnnetzes in West-Berlin still. Einzig um den Grenzübergang am Bahnhof Friedrichstraße weiterhin zu bedienen und im Westen präsent zu bleiben, fuhren auf den Strecken von Friedrichstraße über Zoo nach Wannsee, sowie auf der Nord-Süd-Bahn von Frohnau und Heiligensee nach Lichtenrade und Lichterfelde-Süd noch Züge. Man wollte ja auch die Betriebsrechte an der S-Bahn nicht verlieren. Immerhin war die S-Bahn für die DDR auch eine Möglichkeit ihr eigene Propaganda im Westen darzustellen.

Durch Zehlendorf kam aber nur noch dann eine S-Bahn, wenn ein Zug der Nord-Süd-Strecke zum Betriebswerk nach Wannsee fahren musste oder von dort kam. Das waren jedoch reine Betriebsfahrten, die ohne Fahrgäste erfolgen. So konnte man ab und zu doch noch eine S-Bahn durch Zehlendorf fahren sehen, doch an eine Mitfahrt war nicht zu denken.

Dieser Streik rüttelte aber viele Berliner wach. Manchen wurde bewusst, dass es da ein leistungsfähiges Nahverkehrsmittel gab, dass in den 30er Jahren als das modernste der Welt galt. Leider hatte sich seitdem nicht viel geändert. Die Züge waren inzwischen um die 50 Jahre alt und die Strecken stammten aus der Dampflokzeit des 19. Jahrhunderts. Es wurden Stimmen laut, die eine Übernahme der S-Bahn durch den West-Berliner Senat forderten, aber die Eisenbahn unterstand noch immer der DDR. Mit ihr zu verhandeln musste Sache der Alliierten bleiben, doch was interessierten sich Amerikaner, Briten, Franzosen oder Sowjets für die Berliner S-Bahn?

1983 war es genau 50 Jahre her, dass mit einiger Verspätung im Berliner S-Bahnnetz auch die Wannseebahn elektrifiziert wurde. Anlässlich dieses Ereignisses gab es eine kleine Feier am S-Bahnhof Mexikoplatz, wobei der Begriff „Feier“ nicht ganz richtig gewesen sein mag, denn die Strecke war stillgelegt. Eigentlich hätte man trauern können, doch man forderte eine Zukunft für die S-Bahn. Ich erinnere mich noch gut, wie mir bei dieser Gelegenheit mein Vater mein erstes Buch über die S-Bahn schenkte, ein umfangreiches Werk, dass viel Kunst enthielt, gut die Endzeitstimmung und Verwahrlosung darstellte, aber wenig über die Geschichte verriet.

In dieser Zeit kursierten auch schon Planungen, wie der Senat sich eine modernisierte S-Bahn vorstellte. Zunächst sollte auch vom verbliebenen Rest noch fast alles stillgelegt werden, dann sollten in großen Zeitabständen einige Strecken in moderner Form neu entstehen. Auf den Nord-Süd-Tunnel sollte verzichtet werden, dafür wollte man die Wannseebahn an den U-Bahnhof Gleisdreieck heran führen, aber das auch erst nach vielen Jahren. Es gab auch Überlegungen alte S-Bahntrassen für Magnetbahnen oder für Schnellbusse herzurichten. Das sah alles nicht nach einer schnellen Rückkehr der S-Bahn aus. Man bekam den Eindruck, als wolle der Senat nur das Volk beruhigen, aber nicht wirklich die S-Bahn betreiben.

Plötzlich ging jedoch alles ganz schnell. Im Dezember 1983 begannen Verhandlungen zwischen dem Senat und den Alliierten um eine Übernahme der S-Bahn. Es mag sein, dass die DDR die Kosten des Betriebs leid war, denn man einigte sich unglaublich schnell. Bereits am 8. Januar 1984 fuhr die letzte S-Bahn der Deutschen Reichsbahn in West-Berlin!

Im Osten fuhr sie freilich auch weiterhin, jedoch übernahm am nächsten Morgen die BVG den maroden Betrieb im Westen der Stadt. Das war jedoch noch lange kein Happyend, denn zunächst wurde weiter stillgelegt. Nur die Strecken Anhalter Bahnhof – Lichtenrade und Friedrichstraße – Charlottenburg blieben in Betrieb. Nach zuvor entstandenen Überlegungen des Senats hätte dabei die Strecke nach Frohnau dauerhaft stillgelegt bleiben sollen. Es gab zwar Ideen innerhalb der nächsten zwanzig Jahre die Ringbahn über Gesundbrunnen hinaus zum Märkischen Viertel zu führen, aber eine Linie nach Frohnau war nicht vorgesehen. Das mag der Grund für ein Abschiedfest am dortigen Endpunkt gewesen sein, zu welchem mein Vater mit mir am letzten Betriebstag fuhr.

Eigentlich war ich inzwischen alt genug, um selbst einen solchen Ausflug zu unternehmen, doch er hatte offensichtlich auch Interesse, und so fuhren wir zu zweit nach Frohnau. Gut, eigentlich nicht zu zweit, denn die Züge wurden voller und voller, je mehr wir uns dem Ziel näherten. Dermaßen überfüllte Züge gab es bei der S-Bahn im Westen Berlins wohl seit Jahrzehnten nicht mehr. In Zehlendorf ging es zwar noch, doch von Station zu Station stiegen Leute hinzu.

Eindrucksvoll fand ich die Fahrt durch den Nord-Süd-Tunnel, wo zahlreiche Geisterbahnhöfe in schneller Fahrt durcheilt wurden. Solche Bahnhöfe, die unter Ost-Berlin lagen, aber nur von westlichen Zügen befahren wurden und deshalb von außen zugemauert waren, kannte ich auch von der U-Bahn, doch dort fuhren die Züge immer langsam durch. Die westliche BVG wollte damit stets deutlich machen, dass diese Bahnhöfe auch noch vorhanden und nur wegen der DDR-Diktatur und der Berliner Mauer nicht nutzbar waren. Bei der S-Bahn jedoch wurden diese Stationen ignoriert. In schneller Fahrt durchsauste man die muffigen Bahnhöfe. Im Schummerlicht einer Beleuchtung, die nur ein paar Grenzsoldaten die Bewachung ermöglichen sollte, erkannte man Werbeaushänge aus den fünfziger Jahren, dicke Staubschichten auf den Bänken und auch die leicht gewölbten Schilder mit den Stationsnamen an den Tunnelwänden waren im oberen Teil so verdreckt, dass man ihren Inhalt nur anhand der unteren Hälfte der Schrift erkennen konnte.

In Frohnau erwartete uns dann neben erstaunlichen Menschenmassen nicht viel Organisation. Ein kleines Volksfest war vorhanden, aber an mehr erinnere ich mich nicht. Wir fanden dann Platz in einem gut gefüllten Restaurant, kehrten dort bei Unterhaltung aus einer Musicbox ein und fuhren schließlich wieder zurück. Die Rückfahrt war zu unserer Überraschung gratis, denn angesichts des ungewohnten Fahrgastanstroms war der Fahrscheinautomat leer. Es gab keine Fahrscheine mehr!

Am nächsten Tag war dort Schluss, doch Bürgerproteste halfen. Die S-Bahn ging auf einigen Strecken schneller in Betrieb, als es ursprünglich geplant war. Schon am 1.Mai wurde die Linie aus Lichtenrade, die nun als S2 bezeichnet wurde, bis Gesundbrunnen verlängert und ab 1. Oktober fuhr sie wieder bis Frohnau. Nicht einmal ein Dreivierteljahr währte die Stilllegung dort. Ebenfalls ab 1. Mai 1984 fuhren die Züge von der Friedrichstraße über Charlottenbug wieder bis Wannsee. Das war nun die S3. Die Strecken nach Heiligensee und Lichterfelde-Süd, die noch bis Januar ´84 betrieben wurden, blieben jedoch noch lange stillgelegt und verrotteten allmählich.

Eine S1 gab es noch nicht, denn das sollte die Wannseebahn werden, die nach viereinhalb Jahren Pause am 1. Februar 1985 wieder in Betrieb ging. Wie gern wäre ich bei der Eröffnung dabei gewesen, doch an dem Freitagvormittag war ich, wie jeden Freitag, in der Schule. Ich war inzwischen volljährig geworden und im Sommer würde ich mein Abitur machen, aber es schien mir unangebracht zu schwänzen.

Der Zeitdruck unter dem die Strecke fertig gestellt wurde, war aber offensichtlich. Es standen Abgeordnetenhauswahlen bevor und man wollte vorher einen Erfolg feiern. Noch Mitte Januar schien es kaum möglich, dass die Strecke rechtzeitig fertig werden könnte. Es lagen noch nicht einmal alle Gleise! Dennoch klappte es, auch wenn man sich am Abend des Eröffnungstags noch nicht auf die Bänke setzen durfte, weil diese frisch gestrichen waren.

Endlich war wieder ein richtiges S-Bahnnetz entstanden. Es war zwar noch klein, mit nur drei Linien, aber es erschien inzwischen auch im Linienplan der BVG. Die bekannte Netzspinne der U-Bahn wurde um die S-Bahn ergänzt, man konnte mit den Fahrscheinen von U-Bahn und Bus nun auch zur S-Bahn umsteigen und der Boykott wurde offiziell aufgehoben. Endlich füllten sich die Züge wieder, parallele Buslinien wurden gestrichen und die alten Wagen, aus den zwanziger Jahren ein wenig aufgefrischt.

Im wesentlichen blieb aber das alte Erscheinungsbild erhalten, die Holzbänke, die Fensterbretter mit der Aufschrift „Nicht hinauslehnen“, bei der meistens einige Buchstaben weggekratzt waren, sodass häufig „nicht hinsehen“ stehen blieb. Das Heulen der Motoren blieb unverändert, die Türen ließen sich weiterhin auch während der Fahrt öffnen und wenn über mehrere Weichen gefahren wurde, gingen kurz die Lichter aus. Der Außenlack wurde aber aufgefrischt, hölzerne Haltestangen und Messingteile wurden durch Aluminium ersetzt und an den Zügen prangte nun das BVG-Logo.

Die BVG schien sich aber schwer zu tun, mit dem ungewohnten Eisenbahnbetrieb. Es mussten ja auch Fahrer ausgebildet werden, denn U-Bahnfahrer konnte man nicht nehmen. Es galten ganz andere Vorschriften, so wurde die U-Bahn nach den Vorschriften für Straßenbahnen, die S-Bahn aber nach jenen für Eisenbahnen betrieben. S-Bahnfahrer waren ausgebildete Lokführer, U-Bahnfahrer konnten dagegen in kurzer Zeit angelernt werden.

Auf allen Linien konnte ein Zehn-Minuten-Takt gefahren werden. Mehr nicht. Als 1987, zur 750-Jahr-Feier Berlins ein riesiges Feuerwerk am Reichstagsgebäude abgebrannt wurde, kamen unzählige Besucher, auch ich und mein Vater waren dabei. Mein Vater schwärmte davon, dass es das schönste Feuerwerk gewesen sei, dass er gesehen hatte, seit jenem Feuerwerk zum 80. Geburtstag von Reichspräsident Hindenburg. Mein Gott, wie lange musste das her gewesen sein? Er war ja 47 Jahre älter als ich und konnte sich dadurch an dieses Feuerwerk von 1927, das er als kleiner Junge erlebte, gut erinnern.

Als die Veranstaltung endete standen wir im Dunkeln. Alle Lichter waren aus, die Menschenmassen trampelte über Hecken und Sträucher und wir stolperten allmählich in Richtung Lehrter Stadtbahnhof. Von dort, wo sich heute der Hauptbahnhof befindet, wollten wir die S-Bahn nutzen, was jedoch viele Leute vorhatten. Die technischen Möglichkeiten ließen es jedoch noch nicht zu öfter als alle zehn Minuten zu fahren. Entsprechend lange standen wir vor dem Bahnhof, bis wir überhaupt zum Bahnsteig hoch kamen. Dann mussten wir uns noch in einen Zug quetschen. Das war eine echte Strapaze. Heute würde man vielleicht der S-Bahn entgegen gehen und an einer anderen Station einsteigen, aber die Züge kamen ja direkt vom Bahnhof Friedrichstraße, also von jenem Grenzbahnhof im Ostteil der Stadt, zudem man zu Fuß erst nach Fall der Mauer hätte gelangen können.

Auch bei anderen Gelegenheiten bemerkte man die noch unzureichende Leistungsfähigkeit der S-Bahn. Die Strecken nach Frohnau und Lichtenrade mussten immer wieder gesperrt werden, weil man sie zweigleisig ausbauen wollte. Auf der Wannseebahn konnte man es erleben, dass ein Zug längere Zeit an einer Station stehen blieb, obwohl längst kein Fahrgastwechsel mehr stattfand. Er musste warten, bis vier oder fünf Stationen weiter vorne der vorausfahrende Zug den Bahnhof verließ und das Gleis freigemeldet wurde.

Allmählich wurden die Stationen denkmalgerecht saniert und neue Wagen sollten beschafft werden. Erste Bilder zeigten diese in einem hellen Blauton, was auf erheblichen Widerspruch stieß. S-Bahnen hatten rot und gelb zu sein, daran war man gewöhnt, andere Farben wurden nicht akzeptiert.

Natürlich wurden auch Forderungen nach Wiederinbetriebnahme weiterer S-Bahnstrecken laut. Die Ringbahn sollte wieder kommen, die Strecken vom Westkreuz nach Spandau sowie die Äste nach Heiligensee und Lichterfelde Süd, doch das dauerte noch. Wo die S-Bahn fuhr freute man sich, dass man viel schneller zum Stadtrand kam oder von dort in die City, als zu Zeiten des S-Bahnboykotts, als man auf langsame Buslinien angewiesen war, weil es sich nicht gehörte mit dem Fahrscheinkauf bei der S-Bahn den Sozialismus zu unterstützen.

Wie in meiner Kindheit, genoss ich es noch immer kreuz und quer durch die Stadt zu fahren, doch war selten die Zeit dazu vorhanden. Während meines Studiums hatte ich aber mal eine Freistunde von neunzig Minuten, die ich nutzte, um wieder einmal die Geisterbahnhöfe unter Ost-Berlin und ein Umsteigen am Bahnhof Friedrichstraße zu erleben. Es war ja für West-Berliner kein Problem am diesem geheimnisvollen Grenzbahnhof zwischen der Nord-Süd-S-Bahn, der Stadtbahn oder der U6 umzusteigen, aber ein bisschen abenteuerlich war es schon. Man wurde ständig beobachtet von Grenzsoldaten, Kameras behielten alles im Auge und wer wusste schon, wer alles in Zivil unterwegs war?

Viele West-Berliner nutzen den Bahnhof auch, um zollfrei Zigaretten oder Alkohol zu kaufen. Es gab einen sogenannten Intershop an dem die DDR für westliches Geld allerlei Waren anbot, die ihr eigenes Volk nicht zu sehen bekam.

Der Kauf war am Bahnhof Friedrichstraße legal, dort galt ja auch das Recht der DDR. Wer damit jedoch in den Westen fuhr, wurde zum Schmuggler. So passierte es mir tatsächlich, dass ich auf der Rückfahrt in der U-Bahn in eine Zollkontrolle geriet. Ein Zollbeamter sprach mich an und bat mich in meine Tasche zu schauen, in der ich die Utensilien für die Vorlesungen das Tages hatte. Mein gemütliches Schlendern durch den Bahnhof hatte mich wohl verdächtig gemacht, doch Schmuggelware hatte ich nicht dabei.

Bis zur Wiedervereinigung dauerte es dann nicht mehr allzu lange. Als sich die Grenze am Abend des 9. November für die Menschen aus dem Osten Deutschlands öffnete, merkte man noch nicht viel, aber am nächsten Morgen ging es los. Offenbar wollte sich kaum ein DDR-Bürger die Gelegenheit nehmen lassen, einmal in den Westen zu fahren, und für sehr viele war der Westen Berlins der nächstgelegene westliche Ort. Dazu kam natürlich auch, dass jeder DDR-Bürger im Westen ein Begrüßungsgeld in Höhe von 100,- DM erhielt. Ein ungeheurer Ansturm ergoss sich dadurch auf die Banken, die dieses Geld auszahlten, aber auch über ganz West-Berlin und seinen öffentlichen Nahverkehr.

Begeistert über die Ereignisse wollte auch ich mir ansehen, was an der Grenze los wäre. So fuhr ich mit der U-Bahn zum Schlesischen Tor, wo die U1 damals endete. Die Hochbahnbrücke führte zwar noch weiter, aber an der Spree war die Grenze, sodass erst Jahre später die Züge wieder bis zur Warschauer Straße fahren konnte. Es war aber gar nicht so einfach die U-Bahn zu nutzen. Ich kam aus Richtung Krumme Lanke und musste am Wittenbergplatz in die U1 umsteigen. Auf dem Bahnsteig herrschte ein Gedränge, wie nach dem Feuerwerk von 1987. Irgendwo in der Menschenmasse stand ich, sah einen Zug nach dem anderen langsam in den Bahnhof schleichen, aber kam doch nicht in die Nähe einer Tür, um mich hinein zu quetschen. Viel hätte nicht gefehlt, und die BVG hätte den Betrieb aus Sicherheitsgründen unterbrechen müssen. Als sich wieder ein Zug zum Schlesischen Tor vorsichtig an den Bahnsteig tastete, hatte ich Glück und eine Tür kam direkt neben mir zum Stehen. So gelangte ich tatsächlich in das Innere das Wagens.

Eingepfercht in der hin und her wogenden Menschenmenge, vorbei an weiteren überfüllten Bahnsteigen, an denen weder ein- noch auszusteigen möglich schien, erreichte der Zug schließlich die Endstation. Unterwegs fiel mein Blick von der U-Bahnbrücke noch auf eine Bankfiliale in der Skalitzer Straße, vor der wohl Hunderte von Menschen standen, die ihr Begrüßungsgeld abholen wollten.

Merkwürdigerweise waren am Schlesischen Tor nicht ganz so viele Fahrgäste auf den Bahnsteigen. Waren schon alle auf dem Heimweg, zurück in den Osten? Der Tag war dafür jedoch noch nicht weit genug vorangeschritten.

Es staute sich vor der Treppe nach unten. Es gab von jedem der beiden Seitenbahnsteige nur eine Treppe hinunter, die sich auf halber Höhe mit der Treppe des anderen Bahnsteigs vereinigte. Hier ging es nicht weiter. Abwechselnd auf beiden Bahnsteigen, trafen die Züge alle zweieinhalb Minuten ein und entließen Hunderte auf diese enge Treppe, die dem Ansturm nicht gewachsen war. Der Bahnhof war ja nie als Endpunkt gedacht gewesen. Eine einzige Treppe sollte für diesen Unterwegshalt genügen. Dass hinter dem Schlesischen Tor eines Tages Berlin geteilt werden sollte, konnten die Erbauer um 1900 nicht ahnen.
Durch dichtes Gedränge kam ich schließlich an das Ufer der Spree, an deren anderer Seite wie eh und je die Mauer in strahlendem Weiß glänzte. Hinter dem Wasser wirkte sie recht weit weg, aber ich wusste, dass auch dieses Wasser schon zum Osten gehörte. Das wurde manchem zum Verhängnis, der hineinfiel. Wer dann versuchte ans Ufer zu klettern, machte sich einem Fluchtversuch verdächtig und konnte erschossen werden. Diese Zeiten waren nun aber vorbei.

Ich sah auch, wie die Oberbaumbrücke, auf der sich ein Grenzübergang befand, schwarz vor Menschen war. Sie schoben in beide Richtungen, doch ich konnte nicht hinüber. Die Grenze war ja nur für DDR-Bürger geöffnet worden. Für uns West-Berliner hatte sich im November 1989 überhaupt nichts verändert. Für eine Einreise in die DDR hätte man noch immer ein Visum beantragen und an der Grenze seinen Zwangsumtausch bezahlen müssen. Erst zu Weihnachten wurde auch das vereinfacht.

Als ich wieder zurück fahren wollte, strömte noch immer eine Meute aus dem Bahnhof Schlesisches Tor heraus, gegen die es kein Ankommen gab. Ein Betreten der Station war nicht möglich. Mir blieb nichts anderes übrig, als mit vielen anderen Leuten zum nächsten Halt, dem Görlitzer Bahnhof, zu wandern und dort einzusteigen. Tatsächlich trafen die Züge dort auch leer vom Schlesischen Tor ein, wo tatsächlich kein Einsteigen möglich war. So etwas hatte ich noch nie erlebt.

Natürlich sollte nun auch das Verkehrsnetz zusammenwachsen. Die Deutsche Reichsbahn setzte Sonderzüge ein, die zwischen Berlin-Wannsee und Potsdam pendelten. Am Bahnhof Griebnitzsee gab es noch immer Grenzkontrollen. Zwar benötigte man kein Visum mehr und musste kein Geld umtauschen, aber es wurde stichprobenartig nach Drogen oder Waffen gesucht und man musste Zählkarten ausfüllen. Die DDR wollte, obwohl sie vor ihrem Ende stand, noch genau wissen, wie viele Besucher kämen.
Erst ab dem 1. Juli 1990 ging es dann ohne Kontrollen. Die Züge am Bahnhof Griebnitzsee mussten aber dennoch halten, weil die Gleisanlagen noch keine durchgehenden Fahrten ermöglichten. Wenn der Zug in den Bahnhof einfuhr, mussten an seiner Ausfahrt die Weichen stets gegen Prellböcke führen, damit keine Flucht mit der Eisenbahn gelingen konnte. Erst nachdem der Zug stand, konnten die zuvor befahrenen Weichen verstellt werden, was erst ein Einstellen der Weichen in Richtung Berlin ermöglichte. Es dauerte, bis man die Gleisanlagen verändern konnte.

Wenigstens gelang es am Bahnhof Friedrichstraße ab 1. Juli die S-Bahnzüge wieder zwischen West und Ost verkehren zu lassen. Es entstand eine Gleisverbindung in Verlängerung der Ost-Berliner S-Bahn, die stets den eigentlichen Bahnsteig der S-Bahn nutzte, an die Gleise der westlichen S-Bahn, die während der Teilung den mittleren Bahnsteig nutzte, der ursprünglich für den Fernverkehr in Richtung Westen vorgesehen war. Zwischen beiden Bahnsteigen gab es eine hohe Stahlwand, die jede Sichtbeziehung zwischen Ost und West unterband. Nur hören konnte man auch zu Mauerzeiten die Ansagen auf dem jeweils anderen Bahnsteig. Wenn es dann hieß: „Nach Erkner zurück bleiben!“, mag das für den West-Berliner, der an der Friedrichstraße nur aus der U-Bahn umgestiegen ist, schon seltsam geklungen haben, aber echtes Fernweh mag aufgekommen sein, wenn der Ost-Berliner hören konnte: „Nach Wannsee zurück bleiben!“ Nach Wannsee, also zu einem Ziel, dass für ihn 28 Jahre lang unerreichbar blieb.

Nun fuhren wieder S-Bahnen von Wannsee nach Erkner. Abwechselnd fuhren die leicht modernisierten Altbauzüge der BVG mit den ebenso alten Zügen der DDR-Reichsbahn. Rein äußerlich konnte man sie kaum unterscheiden, da es noch immer die altbewährten Züge aus der Zeit der großen Elektrifizierung von 1928 waren, inzwischen über 60 Jahre alt.

Der Wiederaufbau weiterer Strecken kam nun voran. Die S-Bahn sollte wieder ins Umland fahren, nach Potsdam, Oranienburg und Blankenfelde, aber auch an den noch immer stillgelegten Strecken tat sich etwas. Der Wiederaufbau der Ringbahn hatte sogar schon vor der Wiedervereinigung zögerlich begonnen, doch nun ging es schnell voran. Die Bundesregierung versprach den Wiederaufbau aller bis 1961 betriebenen Strecken zu finanzieren, so wurde die Ringbahn abschnittsweise wieder komplettiert und über Pichelsberg wuchs das Netz bis Spandau. Tegel und Lichterfelde Ost wurden am gleichen Tag erstmals wieder erreicht und nach wenigen Jahren ging es auch bis Hennigsdorf und Teltow, doch dann war Schluss. Der Düppel-Express, in dem mich mein Vater einst mitnahm, kam nicht mehr zurück, genau wie eine Reihe anderer S-Bahnstrecken, die bis heute fehlen.



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