Das Picknick
Die Kleine sah entzückend aus in ihrem leichten, blauen Sommerkleidchen mit den Puffärmeln und den
weißen Rüschen. Die braunen Haare waren mit einem weißen Satinband zum Pferdeschwanz gebunden,
dessen weiße Schleife vom Kopf abstand. Sie freute sich schon sehr auf diesen Sonntag, an dem endlich ihr
langgehegter Wunsch in Erfüllung gehen sollte: ein Picknick mit der Familie auf dem Wingertsberg, einer Anhöhe
außerhalb des kleinen Städtchens. Die Freundin, die wie eine Schwester bei ihr zuhause ein und aus ging,
war mit dabei, während sich der 17jährige Bruder bei diesem Vorhaben völlig überflüssig
fühlte. Doch sein bester Freund, ein ruhiger, naturverbundener junger Mann, hatte ihn zur Teilnahme überreden
können und sich selbst gerne angeschlossen. Ein junges Paar mit zwei Kindern, Freunde der Eltern, wanderten
vergnügt mit.
Die kleine Gruppe war um elf Uhr losgezogen, und durch kleine Schwätzchen mit Bekannten unterwegs des Öfteren
aufgehalten worden. Jeder kennt jeden in dieser kleinen Stadt.
Mit drei Körben und zwei Decken, abwechselnd von den Erwachsenen getragen, schritt man den Berg hinauf und
überquerte eine Brücke, um anschließend Kurs auf den festgefahrenen landwirtschaftlichen Weg zu
nehmen.
Der Vater spielte auf der Mundharmonika, die Erwachsenen sangen dazu, und die Kinder spielten Fangen. Nur die jungen
Männer hielten einigen Abstand zu den Wanderern, umkreist von den sich neckenden Kindern. Manchmal verzogen
sie das Gesicht über die Kleinen, sie fühlten sich sehr erwachsen.
Nach einer guten halben Stunde hatte die Truppe ihr Ziel erreicht, eine Wiese, dicht am Wald gelegen, auf der viele
Obstbäume standen, die Äste mit reifen Früchten behangen. Diese Stelle war der Mutter von einem
Freund des Großvaters empfohlen worden, dem sie vom Sonntags-Ausflug erzählt hatte. Die Decken wurden
ausgebreitet, und gleich darauf war der Wiesentisch mit frischem Bauernbrot, Schinken, Salami, Käse, Tomaten,
Gurken, hartgekochten Eiern, Kartoffelsalat und einem großen Napfkuchen gedeckt. Kaffee, Tee und Säfte
wurden in Plastiktassen und Gläser gegossen.
„Wir wollen zuerst Äpfel pflücken, bitte, ja?“ bettelten die Kinder und die Eltern erlaubten es und sahen
den Kindern hinterher, als sie mit einem großen Stecken gegen ein paar Zweige schlugen, damit ein paar der
köstlichen Früchte herunterfielen. Man wusste, dass der Besitzer für einige Monate nach Amerika
geflogen war, also bestand keine Gefahr, von der Wiese gejagt zu werden. Die Kinder lagen auf dem Bauch und betrachteten
die Kühe, die unweit von ihnen auf der Nachbarswiese grasten. Dabei mampften sie ihre Äpfel und spielten
das Spiel „Ich seh‘ etwas, was du nicht siehst“.
„Ja, soll ich euch Beine machen“ brüllte es auf einmal vom Fuße des Hügels herauf. „Lasst ja die
Finger von dem Obst!“ Alle Anwesenden drehten sich erschrocken in Richtung der drohenden Stimme. Mit schnellen
Schritten kam der Freund des Großvaters, der hier nach dem Krieg Aufseher über alle Obstbäume des
Wingertberges gewesen war, auf sie zu gerannt und glotzte wütend die Kinder an, die sich mit weit aufgerissenen
Augen von ihm wegbewegten. Die Erwachsenen waren so erschrocken, dass sie zuerst kein Wort herausbrachten.
Sie seien Kriminelle, die sein Obst klauen wollten, brüllte er mit Leibeskräften, und setzte hinzu, er
werde den Diebstahl am Montagmorgen sofort zur Anzeige bringen.
Atemlos blieb er mitten zwischen den Bäumen stehen und holte eine große, mitgebrachte Säge aus
einem Rucksack hervor, den er auf dem Rücken trug. Völlig perplex sahen die Freunde, wie er begann, die
Äste des nächststehenden Apfelbaumes abzusägen. Die Männer wollten ihn aufhalten, doch er trat
auf sie zu und bedrohte sie mit dem scharfen Werkzeug, dass sie zurückweichen mussten. Der Alte hörte
nicht auf, zu sägen und zu fluchen, er spie regelrecht seine Worte in die Luft. Die reifen Früchte der
abgesägten Äste fielen polternd auf die Wiese. Die Kinder verkrochen sich hinter dem Rücken der
Mütter.
Wütend schmiss der Alte mit den Ästen um sich, er sägte und sägte, schmiss die Äpfel ins
Gras und wetterte so laut, dass die beiden Mädchen anfingen, zu weinen. Panisch ergriffen die Erwachsenen
das in aller Eile in die Körbe verstaute Essen und die Decken. Dann nahmen sie die Kinder an der Hand und
eilten fluchtartig den Hügel hinunter.
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